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Einfachheit der Diction

[349] So ist die Sprache unsres Dichters durchaus einfach, wahr und kräftig, durchaus in Harmonie mit seinem dichterischen[349] Charakter, wie wir ihn im Vorigen schilderten, und mit den Forderungen der epischen Dichtkunst. Kein einzelner Ausdruck, keine Wendung, kein einziger Vers in dem Ganzen ist weder didaktisch noch lyrisch.

Der Vorwurf aber, dem diess Gedicht schwerlich ganz entgehn wird, ist der einer zu grossen Einfachheit der Darstellung, einer solchen, die manchmal wenigstens matt und prosaisch wird. Bis auf einen gewissen Punkt ist dieser Tadel gegründet; es hätte in der That hie und da ein minder gewöhnlicher Ausdruck gewählt, der Gang der Perioden durch das Hinwegschneiden müssiger Partikeln rascher gemacht oder, ohne auch hierin etwas zu ändern, durch den Bau des Verses dem kleinen Uebelstand abgeholfen werden können.

Grösstentheils aber entsteht jener Vorwurf nur aus einer einseitigen Ansicht derer, die ihn erheben. Einmal darf ein Gedicht, wie das gegenwärtige, nicht stellenweis, es muss im Ganzen beurtheilt werden. Nur wenn der Eindruck, des Ganzen matt und prosaisch ist oder wenn Leser, die mit vollkommener Theilnahme an dem Gegenstande ihre Aufmerksamkeit durchaus auf das Ganze richten, durch einzelne prosaische Stellen gestört werden, nur dann ist jener Tadel gegründet. Sonst aber ist es sehr natürlich, dass, um dem Ganzen das nöthige Gleichgewicht zu erhalten, um nicht überhaupt in einen Schwung zu gerathen, der dieser Gattung nicht zukommt, einzelne Stellen so gemildert werden müssen, dass sie, allein herausgehoben, nicht anders als matt erscheinen können.

Dann giebt es auch bei der Beurtheilung dessen, was die einen matt und die andern nur einfach und natürlich nennen, offenbar zwei verschiedene Standpunkte. Die einen nemlich gehen bei dem Dichter mehr von dem Begriff des Rhapsoden (des Sängers), die andern mehr von dem des Poeten aus – wenn es nemlich erlaubt ist, diese beiden Begriffe, in so fern in dem einen mehr das Musikalische des Gesanges, in dem andern mehr das Künstlerische der Form herrschend ist, von einander zu trennen. Jene sehen ihn als einen Menschen an, der, durch die Eingebung[350] eines Gottes in einen sinnlichen Schwung, in eine hohe Begeisterung versetzt, nun auch eine Sprache annimmt, die sich über alles Gewöhnliche emporhebt, nicht nur der Grösse ihres Gegenstandes mit der Kühnheit ihres Ausdrucks folgt, sondern ihm vielmehr da, wo er kleiner erscheint, durch noch grössere Kühnheit nachhilft. Sie wollen ganz andre Worte, andre Wendungen, kurz eine durchaus und in jedem Einzelnen andre Sprache, als die Prosa verlangt. Diese betrachten ihn als einen, dessen Einbildungskraft einen Gegenstand lebhaft aufgefasst hat und nun, mehr um die Sache, als um den Ton bekümmert, nur daran arbeitet, ihn auszubilden und wieder der Einbildungskraft Anderer werth zu machen, im Einzelnen der gewöhnlichen Sprache nahe bleibt, aber das Ganze dadurch allein umändert und emporhebt, dass er es, seiner Form nach, zu einem reinen Werke der Phantasie macht.

Diese beiden Ansichten näher zu prüfen und zu würdigen, die Zeiten und Sprachen zu vergleichen, in welchen die eine oder die andre mehr gegolten hat, würde unläugbar zu wichtigen Resultaten führen. Es würde uns lehren, dass erst die vollkommene Scheidung der poetischen und prosaischen Sprache das Zeichen der vollendeten Bildung des Styls ist und dass für diese Vollendung bei uns, wenn nicht die Poesie zu prosaisch, doch die Prosa noch zu poetisch ist. Allein da diess eigne und weitläufige Untersuchungen erforderte, da es uns offenbar nöthigen würde, tief in die Sprache Homers und Platos (welcher letztere vorzüglich hierüber trefliche Winke enthält) einzugehen; so müssen wir uns hier dabei begnügen, dass in jeder dieser Ansichten, so wie sie im Vorigen geschildert sind, dennoch offenbar etwas Einseitiges und Uebertriebenes liegt und dass jede unläugbar besser zu einer besondern Art der Dichtkunst passt. Wenn nun unser Dichter ein billigeres Unheil nach der letzteren erfährt, so verdient er es mit desto grösserem Rechte, weil seine Gattung und sein Charakter derselben offenbar mehr angemessen ist.[351]

Quelle:
Wilhelm von Humboldt: Werke in fünf Bänden. Band 2, Darmstadt 1963, S. 349-352.
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